Flexmatik 4.1

Die Produktion der Zukunft ist energie- und ressourceneffizient in einer weitestgehend emissionsneutralen Fabrik unter ergonomischer Einbindung des Menschen in die Produktionsabläufe. Das Vorhaben gliedert sich thematisch in den Kerngedanken des Leitprojekts E³-Produktion der Fraunhofer‑Gesellschaft ein. Der innovative Einsatz von Industrierobotern bietet Ansatzpunkte für den Ausbau der Fraunhofer-Forschungsfelder »Fertigungstechnologien und -verfahren«, »energie- und ressourceneffiziente Produktion«, »Industrie 4.0« und »Robotik«. Industrie 4.0 zielt auf die digitale Vernetzung von kostengünstigen Standardkomponenten und der Schaffung cyberphysikalischer Systeme ab. Zwei der vier Kernthemen sind dabei die Robotik und Sensorik. In dem vorliegenden Vorhaben soll nicht nur die intelligente Verknüpfung von Robotik und Sensorik durch standardisierte Schnittstellen ausgebaut werden, es werden im gleichen Ansatz neue, genauere Roboterstandardkomponenten „Flexmatik 4.1“ geschaffen, die eine wichtige Teiltechnologie für Industrie 4.0 bilden sollen.

Projektziele

Das Hauptziel des Projektes ist die Entwicklung einer seriellen Mehrachs-Kinematik auf einer Linearachse („Flexmatik“) für hochgenaue Bahnprozesse. Hierbei wird am Beispiel des Zerspanungsprozesses das Erreichen einer Fertigungstoleranz von mindestens ± 0,1 mm bei der Bearbeitung von Leichtbauwerkstoffen wie Aluminium und CFK bereits ab Bauteil 1 angestrebt. Dies qualifiziert die entwickelte Prozesskinematik in den Anwendungsbereichen CFK- und Aluminiumbearbeitung als günstige Alternative zu einer konventionellen Werkzeugmaschine. Die deutlich gesteigerte Bahntreue und Absolutgenauigkeit gegenüber Standard-IR wird durch eine auf Bahnprozesse ausgerichtete Neukonzeptionierung der gesamten Kinematik erreicht. Vor dem Hintergrund des Hauptziels werden drei Teilziele zu dessen Erreichung definiert.

Auslegung der Antriebe

Aufgabe der Antriebe ist es die auftretenden Kräfte und Momente währende der Bearbeitung aufzunehmen. Die Momente, die die Antriebe in den einzelnen Achsen aufbringen müssen, hängen dabei von statischen und dynamischen Kräften, sowie dem Hebelarm ab. Zu den statischen Kräften zählen die Gewichtskräfte, die einerseits aus den Antrieben der Achsen selbst resultieren, als auch den Massen der Struktur. Während der Bearbeitung können die dynamisch schwellenden Bearbeitungskräfte ebenfalls in einen statischen und dynamischen Anteil unterteilt werden. Weitere dynamische Kräfte werden durch Trägheitseffekte der Achs- und Strukturmassen hervorgerufen. Aufgrund dieser Einteilung kann das Nennmoment der Antriebe über die zu erwartenden statischen Belastungen ermittelt werden. Die Antriebe müssen jedoch kurzzeitig bei starken Beschleunigungen ein größeres Moment bereithalten können, das Spitzenmoment, um die dynamischen Momente aufzunehmen.

Für eine erste Iteration werden Strukturmassen angenommen und Achsabstände definiert. Aufgrund des seriellen Aufbaus von Knickarmrobotern müssen die jeweiligen Achsen die Massen der zum TCP hin folgenden Antriebe mittragen. Deshalb werden für Handhabungsroboter üblicherweise Antriebe mit geringen Massen bevorzugt, da somit auch die dynamische Belastung abnimmt und höhere Beschleunigungen erreicht werden. Die Flexmatik 4.1 hingegen wird auf eine erhöhte Genauigkeit ausgelegt. Die Massen der Antriebe sind somit zwar nicht primär von Relevanz, die Kosten der Antriebe, die proportional zu ihrer Leistung sind, schon. Ebenfalls gilt es die Massen der Flexmatik 4.1 gering zu halten, um die Belastungen und somit auch Verformung der Linearachse gering zu halten.

Im Hinblick auf die zu erreichende Genauigkeit von ±0,1 mm am TCP sind entsprechende Messsysteme, als auch Regelkreisläufe seitens der Antriebe notwendig. In der reinen Positioniergenauigkeit sind Steuerung und Regelung weitestgehend antriebsunabhängig. Im Zeitpunkt des Eingriffs des Fräsers, wird die Belastung jedoch schlagartig erhöht. Bei derzeitigen Industrierobotern kommt es hierbei zu einer deutlichen Verlagerung des TCPs. Um diese Verdrängung kompensieren zu können, muss einerseits der Regler den Fehler schnell erkennen, zum anderen der Antrieb die neue Stellgröße auch schnell bereitstellen, ohne aufzuschwingen oder einen Fehler in der Bearbeitung zu generieren. Aus diesen Anforderungen heraus müssen Antriebe für die jeweiligen Achsen der Flexmatik 4.1 eruiert und gegenübergestellt werden. Zu diesen Antriebskonzepten gehören Antriebe mit steifen, spielfreien und abtriebsseitig geregelten Getriebeantrieben, Direktantriebe sowie eine Hybrid-Variante.

Antriebe mit spielfreien Getrieben und abtriebsseitigem Messsystem sind im Vergleich zu Direktantrieben weniger Steif. Regelungstechnisch können Getriebe als Tiefpass betrachtet werden, was vorteilhaft für den Aufbau des Reglers ist. Andererseits ist es eben dieser Effekt, der eine schnelle Reaktion auf z. B. den ersten Eingriff des Fräsers erschwert bzw. ausschließt. Direktantriebe hingegen können auf äußere Einflüsse direkt reagieren. Der steuerungs- und regelungstechnische Aufwand ist jedoch bedeutend größer, da das System zum Aufschwingen neigen kann und auch kleine hochfrequente Störgrößen ausgeregelt werden. Die Verformung und damit einhergehende Hysterese eines Getriebes würde diesen Effekt dämpfen. Der Bauraum, bzw. die Massen der einzelnen Konzepte sind in Abbildung 1 in den einzelnen Roboterachsen gegenüber gestellt. In dieser Darstellung ist, z. B. erkennbar, dass Direktantriebe für Achse 3 eine höhere Belastung auf die Achse 2 zur Folge haben als andere Antriebskonzepte. 

Abbildung 1: Massenvergleich unterschiedlicher Antriebskonzepte

In weiteren Schritten gilt es zu analysieren in welchen Achsen das Verhalten eines Direktantriebes sinnvoll ist, oder wo eine Hybrid- oder Getriebelösung geeigneter ist. 

Strukturoptimierung

Parallel und direkt mit der Antriebsauslegung geht die Auslegung der Struktur einher. Auch hier gilt es eine möglichst leichte Struktur für kleinere, günstigere Antriebe sowie einer besseren Dynamik der Kinematik zu erzeugen. Da die Genauigkeit bei der Flexmatik 4.1 im Vordergrund steht, muss das System außerdem in allen Lagen möglichst steif sein. Um den Anforderungen einer leichten aber gleichzeitig steifen Struktur gerecht zu werden, wird die Struktur mittels Topologieoptimierung erstellt. Durch die verschiedenen Haltungen, Beschleunigungsrichtungen und Vorschubrichtungen des Fräsers ergeben sich eine Vielzahl von Lastzuständen im Bearbeitungsraum. Die Topologieoptimierung vermag jedoch nur eine dieser Zustände zu optimieren, wie z. B. in Abbildung 2 dargestellt. Dementsprechend ist es zielführend, Lastzustände in kritischen Bereichen zu untersuchen und die Ergebnisse der Toplogieoptimierungen zu vergleichen. Nutz man des Weiteren Symmetrien aus, erhält man eine weitestgehend richtungsunabhängige, steife und leichte Struktur. Mit der final modellierten Struktur können nun durch Parametrisierungen die letzten Iterationsschritte und Skalierungen der Antriebe und Struktur vorgenommen werden. Anschließend gilt es die auftretenden Verschiebeung am TCP durch MKS- und transiente Strukturanalysen via FEM zu überprüfen

Abbildung 2: Ergebnis der Topologieoptimierung mit unterschiedlichen Lagen und Lagerungskonzepten

Thermik

Die Genauigkeit von IR wird wesentlich durch den Einfluss der abtriebsseitigen mechanischen Komponenten beeinflusst, wozu alle Strukturteile, Lager und Getriebe zählen. Die Einflüsse der genannten mechanischen Komponenten hängen im Wesentlichen von den Steifigkeitskennwerten, den Fehlern durch Fertigung und Montage sowie dem thermischen Einfluss ab.

Durch die Tatsache, dass die Steifigkeit und die Programmierverfahren sowie Kalibrierverfahren der IR immer besser werden, ist der relative Einfluss der thermischen Ausdehnung gewachsen. Durch die Erwärmung der Motoren und die in den Lagern und Getrieben entstehende Reibungswärme sowie durch äußere Einflüsse, erwärmt sich die Roboterstruktur und dehnt sich aus (Abbildung 3). Aufgrund dieser Verformungen entsteht eine Verschiebung am Tool-Center-Point (TCP), wodurch die programmierte Soll-Position von der tatsächlichen Position abweicht. Dabei wurden Abweichungen je nach Achsstellung zwischen 0,1 mm … 1,78 mm erfasst. Diese Abweichungen sind in den meisten Anwendungsfällen für die spanende Fertigung nicht tragbar. 

Abbildung 3: Thermographische Aufnahmen der Achsen

Daher besteht die Notwendigkeit, die thermische Ausdehnung und damit die Ungenauigkeiten bei IR zu verringern. Durch die wechselnden Betriebslasten und schwankenden Produktionslosgrößen kommt es zu variierenden Temperaturbeeinflussungen, die nicht ohne konstruktive oder sensorische Unterstützung kompensiert werden können. Thermische Verformungen lassen sich nicht durch eine einmalige Kalibrierung korrigieren, da diese Fehler zeitvariant und abhängig von den Achsstellungen sind.

Die Größe der Verschiebungen des TCP in den einzelnen Raumrichtungen ist außerdem abhängig von den Achsstellungen, denn bei bestimmten Stellungen zu einander können sich die Längenänderungen der einzelnen Glieder einer Raumrichtung gegenseitig aufheben oder noch verstärken (Abbildung 4).

Abbildung 4: Beispiel für Abhängigkeit der Verschiebung der Achsstellung

Um diesen Verlagerungen entgegenzuwirken, kann eine Kühlstrategie oder eine gezielte Vorwärmung vorgenommen werden. Beide Möglichkeiten werden unter konstruktiven, energetischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten bewertet und eines davon für mindestens eine Achse umgesetzt. Hierdurch kann ein stationärer Zustand eingestellt werden, der nur sehr geringfügige thermisch bedingte Verlagerungen bewirkt. Weiterhin wird die konstruktive thermische Entkopplung und optimierte Auslegung der betreffenden Komponenten vorgenommen. Außerdem wird geprüft, inwieweit die Verwendung alternativer, thermisch stabiler bzw. isolierender Werkstoffe, beispielsweise CFK oder Keramik, zu einer Reduktion der Verlagerung beiträgt. Das thermische Ausdehnungsverhalten der einzelnen Strukturelemente wird bei der Auslegung berücksichtigt und soweit sinnvoll optimiert.